Kanti V, Messender A, Dubos P, et.al.: Evidence-based (S3) guideline for the treatment of androgenetic alopecia in women and men. JEADV 2018

de Viragh P: Androgenetische Alopezie. Swiss Med Forum 2018; 18(44): 900-906

Haarwuchs-Störungen: Ursachen für Effluvium und Alopezie bei Frauen erkennen

Neben der direkten Schädigung des Haarfollikels können auch Störungen von Ruhe- und Wachstumsphase zu Haarausfall führen. Ein Trichogramm gibt Aufschluss über den Haarwurzelstatus, zugleich liefert die Labordiagnostik wertvolle Hinweise zu möglichen Ursachen.

Grundlagen und Definition

Jeder Mensch besitzt ca. 100.000 Kopfhaare, die völlig unabhängig voneinander wachsen. Jeder Haarfollikel durchläuft immer wieder Phasen von Wachstum und Ruhe (siehe Infokasten Haarzyklus).

Haarzyklus

Anagenphase (Wachstumsphase): 2–6 Jahre, Wachstumsgeschwindigkeit des Haares ca. 1cm pro Monat.

Katagenphase (Regressionsphase): 1–2 Wochen

Telogenphase (Ruhephase): 2–4 Monate.

Danach erneuter Wechsel in die Anagenphase. Wenn der Follikel am Ende dieser Phase nicht wieder in die Anaphase übergeht, kann das ausgefallene Haar nicht wieder regeneriert werden.

Neben der direkten Schädigung des Haarfollikels können verschiedene Faktoren diesen Zyklus durch vorzeitigen Übergang vom Anagen ins Telogen synchronisieren und so nach 2–4 Monaten zu spürbar stärkerem Haarausfall führen. Objektivierbar ist der Haarverlust mittels Trichogramm (im dermatologischen Konsil), das den prozentualen Anteil aktiv wachsender Anagenhaare (normal > 80%) und ruhender Telogenhaare (normal < 20%) bestimmen kann.

Außerdem können Patient*innen durch regelmäßiges Fotografieren selbst zur Verlaufskontrolle beitragen. Bei verstärktem Haarausfall spricht man von Effluvium. Eine sichtbare Haarlosigkeit wird Alopezie genannt.

Die androgenetische Alopezie

Die androgenetische Alopezie (AGA) ist die häufigste Form des Haarausfalls. Sie betrifft 40% aller Frauen. Typisch ist die Ausdünnung der Haare im Scheitelbereich, zu einer Kahlheit kommt es nicht.

Die AGA ist ein physiologischer Alterungsprozess, der in der 3. Lebensdekade beginnt und über die Jahre zunimmt. Die Ausprägung des individuellen androgenetischen Haarverlusts beruht auf einer genetisch festgelegten Sensibilisierung der Haarfollikel gegenüber in der Regel normwertig zirkulierenden Androgenen.

Es besteht somit kein Zusammenhang zwischen Ausprägung des Haarverlusts und den Androgenspiegeln im Blut. Allerdings kann die AGA durch bestimmte Lebensphasen mit Sexualhormonschwankungen (z.B. Pubertät, Entbindung, Menopause) und nach An- und Absetzen von Hormonpräparaten aggravieren.

Neben der AGA gibt es eine Vielzahl anderer Ursachen, die zu einem Leidensdruck erzeugenden Haarausfall führen können. Um eine erfolgreiche Behandlung einleiten zu können, ist deren Beachtung von großer Bedeutung. Tabelle 1 stellt die häufigsten Differentialdiagnosen mit sinnvoller Diagnostik und möglicher Therapie dar.

Tabelle 1: Differentialdiagnosen zur Androgenetischen Alopezie mit Diagnostik und Therapie

Differentialdiganose Diagnostik Therapie
Sexualhormon-
schwankungen
z.B. durch Pubertät, Schwangerschaft, Stillzeit, An- oder Absetzen eines hormonellen Kontrazeptivums oder Hormonpräparats
Anamnese Abwarten
Endokrinopathie (Cave im Falle einer Pilleneinnahme oder Hormontherapie: Hormonwerte frühestens 8 Wochen nach Absetzen dieser Therapie bestimmen!) Blutentnahme am 3.-5. Zyklustag: LH, FSH, E2, Androstendion, DHEAS, Testosteron, SHBG, Prolaktin; bei Erhöhung der Androgene Nachmeldung von Cortisol und 17-Hydroxyprogesteron zum Ausschluss eines Cushing-Syndroms oder adrenogenitalen Syndroms); TSH, fT3, fT4 Zusätzlich bei Adipositas: 75g-oGTT mit Insulinresistenz-Bestimmung (HOMA-Index) Ggf. Gabe einer antiandrogenen Hormontherapie/Pille bzw. kausale Therapie
Postinfektiös/Fieber > 39°C oder chron. Infekt (Lues, HIV) Anamnese; TPPA-Test, HIV-Screening, Mykobakterien (TBC), Leptospiren Kausale Therapie
Operationen, sonstige physische und psychische Traumata Anamnese Abwarten, ggf. supportive Maßnahmen
Kollagenosen (mögliches Erstsymptom eines systemischen Lupus) antinukleäre Antikörper (ANA), BSG, C3/C4 Komplement, dsDNA-Antikörper Kausale Therapie
Anorexie, aggressive Reduktionsdiät Anamnese Ggf. psychologische Therapie
Malnutrition inkl. vegetarische/ vegane Lebensform Anamnese; Zink, aktives Vitamin B12 (Holo-Transcobalamin), Biotin Ernährungsberatung
Eisenmangel Anamnese (z.B. Ernährung, OP mit größerem Blutverlust, Geburt); Ferritin, Hb-Wert, CRP Eisensubstitution auf 50-70 µg/l Ferritin (klin. Effekt 9-12 Monate später)
Chron. Krankheiten (inkl. Krebs) Ferritin inkl. CRP und ALAT (GPT), Ausschluss Ferritinerhöhungen bei Hepatopathien oder Entzündungen) Kausale Therapie
Chemotherapie (Anageneffluvium - Auftreten 2-3 Wochen nach direkter Schädigung des Haarfollikels)
Medikamente (Haarverlust auf behaarte Kopfhaut begrenzt) Anamnese, z.B. Heparin Absetzen/Umstellen der Medikation
Dermatologische Ursachen (z.B. Lichen Ruber, Mykosen, Neurodermitis) Ggf. dermatologisches Konsil Kausale Therapie
Umweltgifte (z.B. Blei, Quecksilber) Anamnese, ggf. Blei, Quecksilber Weglassen des Toxins

Diagnostik

Um die Ursache von Effluvium/Alopezie einzugrenzen und eine sinnvolle Labordiagnostik in Auftrag geben zu können, sollte eine sorgfältige zielgerichtete Anamnese erfolgen. Beginn, Dauer, Menge und Muster des Haarausfalls sind zu erfragen.

Entscheidend ist die Eruierung von Allgemeinkrankheiten, in den vergangenen 6–12 Monaten durchgeführten Operationen, Medikamenten (v. a. Hormonpräparaten) und Ernährungsgewohnheiten. Im Anschluss kommen dann auch die in Tabelle 1 aufgeführten labormedizinischen Untersuchungen in Betracht.

Behandlung

Je nach Ursache des Haarausfalls gilt es nach der Diagnosestellung z.B. abzuwarten, Mangelzustände auszugleichen oder Medikamente abzusetzen.

Zur Behandlung der AGA liegen evidenzbasierte europäische Empfehlungen vor (S3-Leitlinie). Kerngedanke ist, den zugrunde liegenden Einfluss männlicher Geschlechtshormone auf die Haarwurzel zu blockieren oder die zunehmende Verkürzung des Haarzyklus direkt über nicht hormonale Mechanismen umzukehren.

Topische Behandlung der AGA

Die lokale Behandlung mit dem Kaliumkanalöffner Minoxidil hat sich mehrfach in Studien als wirksam erwiesen: 2 x täglich Lokalanwendung 2%iger Minoxidillösung führte in 63% der Fälle zum gewünschten Behandlungserfolg.

Es ist zu beachten, dass es initial aufgrund einer Teilsynchronisation des zyklischen Haarwachstums zu einer vorübergehenden Verstärkung des Haarausfalls kommen kann. In 5% der Fälle zeigte sich unerwünschtes Haarwachstum im Stirn- und Schläfenbereich. Für Frauen ist die 2%ige Lösung zugelassen, es gibt zusätzlich eine 5%ige Lösung/Schaum für den Mann. Beide Präparate sind rezeptfrei erhältlich.

Für den Einsatz topischer, natürlicher Östrogene (17-beta-Östradiol) oder 17-alpha-Östradiol gibt es keine Evidenz.

Systemische Behandlung der AGA

Hormonpräparate oder kombinierte orale Kontrazeptiva mit Gestagenen der dritten Generation, die die geringste androgene Teilwirkung aufweisen (Desogestrel, Gestoden, Norgestimat), oder antiandrogen wirkende Präparate mit Cyproteronacetat, Chlormadinonacetat, Dienogest oder Drospirenon sind zur Behandlung der AGA geeignet.

Für den Einsatz vom plättchenreichen Plasma (PRP) existieren noch keine belastbaren Studiendaten. Auch eine sinnvolle operative Therapieoption gibt es bisher nicht.

Abrechnungen

Parameter Material EBM GOÄ
Ziffern Ziffern € (1,15- fach)
17-Hydroxy-
progesteron
1 ml Serum 32368 9,40 € 4035 15,64 €
Androstendion 1 ml Serum 32387 12,80 € 4036 15,64 €
Blei (Pb) 1 ml EDTA-Blut oder Heparin-Blut 32271 13,08 € 4196 27,48 €
Cortisol 1 ml Serum 32367 6,20 € 4020 16,76 €
C-reaktives Protein (CRP) 1 ml Serum 32460 4,90 € 3741 13,41 €
DHEAS (Dehydroepiandrosteron-Sulfat) 1 ml Serum 32369 6,90 € 4038 15,64 €
E2 (17-β-Östradiol) 1 ml Serum 32356 4,60 € 4039 15,64 €
Ferritin 1 ml Serum 32325 4,20 € 3742 16,76 €
FSH (follikelstimulierendes Hormon) 1 ml Serum 32353 4,50 € 4021 16,76 €
Holo-Transcobalamin 1 ml Serum oder Heparin-Plasma 32381 15,90€ 4062 32,17€
LH (luteinisierendes Hormon) 1 ml Serum 32354 4,90 € 4026 16,76 €
Prolaktin 1 ml Serum 32355 4,60 € 4041 15,64 €
Quecksilber 4 ml EDTA-Blut 32279 12,30 € 4196 27,48 €
SHBG (Sexualhormonbindendes Globulin) 1 ml Serum 32360 11,90 € 3765 20,11 €
Testosteron 1 ml Serum 32358 5,00 € 4042 15,64 €
TSH (Thyreotropes Hormon) 1 ml Serum 32101 3,00 € 4030 16,76 €
Zink 3 ml Serum 32267 12,30€ 4135 6,03 €
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